WAHLKAMPF Etwa 80 Bürger diskutieren mit dem Landeschef WITTMUND/MH – Nach einem langen Tag mit vielen Stationen quer durch Ostfriesland stellte sich Ministerpräsident Stephan Weil am Mittwochabend in der Wittmunder Stadthalle noch für zwei Stunden
den Fragen der Bürger.
Anzeiger für Harlingerland vom 1.9.2017

„Auf ein Wort mit Stephan Weil“
lautete das Motto – rund 80 Bürger nutzten die Chance, um mit dem Landeschef ins Gespräch zu kommen. Auf der Rückseite eines roten Bierdeckels konnten die Besucher eine Frage an Weil richten – und das taten sie reichlich. Alles, was derzeit auf den Nägeln brennt im Land, kam zur Sprache. Der Ministerpräsident zeigte sich gut aufgelegt, beließ es nicht bei Allgemeinplätzen. Als etwa die schlechte Ärzteversorgung auf dem Lande beklagt wurde, sagte er: „Wir denken darüber nach, Medizin Studienplätze für diejenigen zu reservieren, die sich verpflichten, eine Praxis im ländlichen Raum zu übernehmen.“ Anreizprogramme soll es auch für Lehrer geben: „Wir wollen die Lehrerverteilung über die Landeschulbehörde besser steuern.“ Kita-Plätze sollen künftig gebührenfrei sein. Ob er das alles nach dem 15. Oktober noch umsetzen kann, ist nach jüngsten Umfragen offener denn je. Aber Weil wird alles für eine Neuauflage von Rot- Grün tun – da ließ er am Mittwoch keinen Zweifel.

Von Krisenmodus nichts zu spüren

WAHLKAMPF Ministerpräsident Stephan Weil kämpft für eine Neuauflage von Rot-Grün

Bei einer Bürgerrunde sagt Weil: „Eine Menge hat geklappt – das wollen wir fortsetzen.“ VON MANFRED HOCHMANN WITTMUND – Stephan Weil hat vom Krisenmodus längst in Offensive umgeschaltet: Der SPD-Ministerpräsident, der kürzlich durch den Übertritt der Grünen Elke Twesten im Landtag die Mehrheit verlor, will es nun erst recht wissen. „Ich mache mir im Moment ausschließlich den Kopf darüber, wie wir es schaffen, dass Rot-Grün bestätigt wird“, sagt er – am Mittwochabend in der Wittmunder Stadthalle hat er alles dafür gegeben. Mit dem dubiosen Mehrheitsverlust hält sich Weil an diesem Abend nicht auf („So etwas habe ich noch nicht erlebt, man sollte sich an die demokratischen Grundregeln halten“).

Stattdessen zieht er kurz Bilanz der rot-grünen Landesregierung: „Unser Haushalt ist erstmals seit 2016 ausgeglichen; wir haben das Turbo-Abitur abgeschafft und stehen bei der Kita-Versorgung auf Platz drei.“ Die Studiengebühren sind abgeschafft – gleiches soll mit den Kita-Gebühren geschehen. Eine Menge habe geklappt – „und das wollen wir fortsetzen“,sagt Weil. Bildung ist das wichtigste Thema überhaupt. Nun kommen die Bürger zu Wort. Jan Herrmann, Vorsitzender des Kreiselternrates, setzt nach: „Es gibt hier Probleme mit der Unterrichtsversorgung– es gibt einen Lehrermangel.“ „Ja, das stimmt“, gibt der Landeschef zu. Bei der letzten Schülerplanung im Jahr 2009 („Kultusminister war damals übrigens der jetzige CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann“) habe man sich grob verschätzt. „Wir werden in diesem Jahr 4000 neue Lehrer einstellen – nächstes Jahr erheblich mehr Lehrer ausbilden.“ Auch Quereinsteiger sollen verstärkt in den Schuldienst aufgenommen werden. Thema Landwirtschaft: Wittmunds Kreislandwirt Manfred Tannen zeigt sich eigentlich gar nicht so unzufrieden mit der Landesregierung, aber: „Warum wird das Landwirtschaftsthema immer bei den Grünen angesiedelt – warum nicht bei Ihnen?“ Weil: „Sorgen Sie bitte dafür, das wir Regierungspartei bleiben, dann machen wir das.“

„Bösartige Kampagne“
Einen breiten Raum nimmt die Energiepolitik ein. Weil spricht sich wiederholt für den Ausbau der Windenergie aus – aber ausschließlich offshore auf hoher See. Neben dem Aus für die Atomkraft fordert er auch einen „Plan für den Ausstieg aus der Kohle“. Beim Thema Klima darf natürlich nicht die VW-Dieselaffäre mit allem drum und dran fehlen. „Das hat für einen deutlichen Kratzer am VW-Image gesorgt“. Überhaupt habe sich VW zu lange auf Verbrennungsmotoren konzentriert. Das aber werde sich ändern – ab 2019 komme eine neue Produktlinie, mit neuer E-Technik. Ein Fahrverbot für Diesel-Fahrer müsse vermieden werden – Entschädigungen müssten gezahlt werden. Den Vorwurf, er habe sich seine Regierungserklärung zur Krise von VW schönen lassen, nennt Weil eine „bösartige Kampagne“. Er habe sich in einer schwierigen Situation verantwortlich verhalten, auch mit Blick auf viele tausend Arbeitsplätze. „Die Situation war für VW existenzbedrohend – da durften rechtlich und textlich keine Fehler gemacht werden.“ Seine Kritik am Verhalten der VW-Manager habe das nicht beeinträchtigt. Diskussionen um den sozialen Wohnungsbau („eines der wichtigsten Themen für die nächsten Jahre); Ärzteversorgung Breitbandausbau („bis 2019/20 sollen alle Gebäude mit mindestens 50 Mbit/s ausgestattet sein“), Pflegekräfte („müssen wir besser bezahlen“) und viele Themen mehr schließen sich an. Sie können an dieser Stelle nicht komplett wiedergeben werden. Am Schluss sagt ein Bürger: „Gehen Sie bloß keine große Koalitionen ein – weder auf landes- noch auf Bundesebene. Holen Sie die absoluten Mehrheiten.“ Weil lächelt: „Das wollen wir gerne tun – helfen Sie uns.“